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Eine Seniorengruppe macht einen Ausflug zu einem Reiterhof. Zunächst scheint alles einigermaßen geregelt vonstatten zu gehen, bis der Bus mit den Ausflügler:innen das Ziel erreicht hat. Denn dort erscheint der ehemalige Leiter des Seniorenheims, der kurzerhand Pferden bespannen und Kutschen bereitstellen lässt. Sodann setzt sich eine Karawane in Bewegung, die auf der Suche des neuen, vom ehemaligen Leiter geleiteten Seniorenheims, in der Ost-Brandenburger Landschaft zwischen Toilettengang und Atelierbesichtigung herumirrt – bis irgendwann der Bus wieder auftaucht und es zurück ins Seniorenheim geht.
Durch diese Erzählung, die in ihrer realistisch-absurdistischen Darstellungen durchaus mit großen Namen der deutschen und niederländischen Literatur hätte mithalten können – zumal der Autor, Konrad Roenne (geb. 1979) bereits von diversem Kurzprosa und seiner Tätigkeit für das Vice-Magazin (dessen Kultstatus gerade in deutschsprachigem Gebiet – Stichwort: Hipster – nicht unverdient ist) bekannt ist und – wichtiger – durchaus um das Handwerk des Schreibens weiß.
Denn das Erzählen an sich ist die größte Errungenschaft dieses Romans, der übrigens des Autors Debüt ist. Die Leserschaft sieht sich mit einem erzählenden Ich konfrontiert, das zwar Teil der Geschehnisse ist (ständig ist von ‚wir‘ die Rede), andererseits durch seine Allwissenheit unmöglich aber Teil der Seniorengruppe oder wer auch immer sein kann. Die Erzählfigur lässt sich also nicht einordnen. Gleichartig verhält es mit dem Erzählen an sich, denn von den Geschehnissen wird zwar assoziativ, springend zwischen Charakteren und Zeiten, berichtet, gleichzeitig aber höchst präzise und detailliert – womit das Erzählen beinahe die Form eines Gedankenprotokolls bekommt, zumal die Erzählfigur Unsicherheiten oder andere Möglichkeiten auch dezidiert thematisiert.
Dass der Roman von Roenne dann doch nicht ganz mit den Großen hiesiger Literatur mithalten kann, liegt am Inhalt. Denn dieser enttäuscht etwas. Nicht, weil die Situation am Anfang des Romans ja mehr oder weniger mit dem zum Ende des Romans gleichzusetzen ist (das hatten wir ja auch schon bei ‚Die Abende‘ von Gerard Reve). Aus meiner Sicht problematisch sind Erzählstränge, die nicht oder augenscheinlich halbherzig beziehungsweise eilig aufgelöst werden – wenn der Geschäftsführer des Altenheims ständig Drogen nimmt oder wenn der ehemalige Heimleiter auf dem Weg zum Reiterhof irgendwo am Straßenrand eine alte Dame einsammelt – und deren Mehrwert dadurch unklar bleibt.
Das ändert aber nichts daran, dass ‚Hoch Mittag‘ ein Musterbeispiel hervorragenden Erzählens ist. Wer also die Auffassung vertritt, dass bei Literatur nicht nur um Inhalt, sondern auch um Form geht, und sich deshalb nicht so leicht von dem Inhalt enttäuschen lässt, für den ist ‚Hoch Mittag‘ eine durchaus lesenswertes Buch – trotz der Tatsache, dass der Roman in einem ‚regionalen‘ Verlag erschienen ist, dezidiert auch für Leser:innen, die sich nicht in Berlin oder Brandenburg, sondern sonst wo befinden.
Erschienen: Ammian Verlag, (www.ammian-verlag.de, Berlin 2022
Umfang: Gebunden mit Schutzumschlag, 368 Seiten
Preis: € 24,80 (D)
ISBN: 978-3-498052-17-1
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