Die Woche (Heike Geißler)

Buchcover Die Woche von Heike Geißler

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In Heike Geißlers Roman ‚Die Woche‘ geht es um Katastrophen. Zwei Frauen, die Ich-Erzählerin und ihre Freundin Constanze, erleben, wie sie die Wohnung zu verlieren drohen, wie Legida durch die Straßen zieht, wie die Woche aus immer mehr Montagen besteht, wie der bei ihnen einwohnende Tod sich am Weinvorrat bedient – und die Care-Arbeit für die Familie trotzdem die Gleiche, der Alltagstrott trotzdem bestehen bleibt. Ihre Antwort: Protest, Demonstration, Revolution.

Es ist schwer, dieses Buch zu kritisieren – und nur allzu gerne würde ich es uneingeschränkt loben wollen. Denn Heike Geißler hat ein wichtiges und politisch höchst relevantes Buch geschrieben, das verschiedene Herausforderungen unserer Gesellschaft wunderbar aufzeichnet, beispielsweise, dass Dinge in unserer Gesellschaft darum nicht verbessert und verändert werden, weil die Leute, die es betrifft, kaum für ihre Rechte und Interessen eintreten können – weil sie dafür keine Zeit haben oder, wie in diesem Roman, das sogar als verpönt betrachtet wird: Mütter haben für die Sicherheit ihrer Kinder zu sorgen, nicht auf Demonstrationen zu gehen: „Das Muttergeschenk: die in die Knochen geschnitzte Verantwortung […] die mich bröseliger macht als andere. […] Ich gehe schon wie mit Glasknochen umher; fragil, zerstörbar.“

Inhaltlich also höchst relevant, und dazu noch mit großer stilistischen Purheit. Denn Geißlers Schreiben ist ein unpoliertes, bisweilen auch widersprüchliches, weniger ein erzählendes als ein sich der Erzählung verwehrendes. Der Roman umschließt die Leserschaft nicht, sondern lässt sie aufgrund des Schreibstils arbeiten, zwingt zum Nachdenken und Reflexion. Ein durchaus passender Ton, durch den die Leserschaft auch abermals (denn neu ist dieser Erkenntnis nicht) daran erinnert wird, dass Menschenleben, Ereignisse und insgesamt das Leben ob der enormen Komplexität nicht in Worte gefasst werden können.

Inhalt und Stil betrachtend, hätte ‚Die Woche‘ darum wunderbar funktionieren müssen. Hat es, und jetzt folgt eine Meinung mit der ich mich gewiss nicht beliebt mache, für mich aber nicht: Ich fand ‚Die Woche‘ enttäuschend, betrachte das Buch als wenig mehr als ein netter und sympathischer und auch notwendiger Versuch, die politische Gegenwart einzufangen. Das liegt nicht am Stil – der an sich funktioniert – und weniger am Inhalt – ob und wie es funktionieren kann, (fast) die ganze Welt samt Weltschmerz in einen Roman zu packen, sei dahingestellt (ich denke aber, das geht). Wirklich katastrophal und dem Roman schlussendlich fatal ist das Zusammenspiel zwischen beidem, zwischen Stil und Inhalt.

Die Erzählweise Heike Geißlers, eine, die sich gegen das Erzählen wehrt, die dekonstruktivistisch und postmodern anmutet, passt manchmal zum Inhalt – beispielsweise wenn es um das Selbstbild der Protagonistinnen als ‚Proletarierprinzessinnen‘ geht – und könnte manchmal sogar – etwa bei der Thematik der Legida-Versammlungen – als programmatisch betrachtet werden. Gestört allerdings wirkt das Verhältnis zwischen Erzählweise und Inhalt jedoch mit Blick auf den Idealismus, den Protest und den Revolutionswillen der Protagonistinnen. In ihrem Streben nach einer besseren Welt erzeugen die zwei Freundinnen schließlich selbst Konstrukte (beispielsweise die ‚Riesen‘, die zu ‚Feinde‘ werden) – und, letztendlich, Erzählungen. Gerade das sehe ich sehr kritisch: Die Protagonistinnen, die stilistisch ohne Erzählung sind, während sie diese inhaltlich bereits längst gefunden haben.

Oder – davon ausgehend, dass die Gegenwart radikal unterscheidet von den früheren Zeiten von vor ca. 20 Jahren: ‚Die Woche‘ verharrt im postmodernen Erzählen einer Realität, die aber bereits jenseits der Postmoderne liegt. Es geht um heute, erzählt wird aber wie gestern. Diese Diskrepanz an sich wäre grundsätzlich eine Meisterleistung – aber nur, wenn sie formal oder inhaltlich etweder aufgelöst oder, besser, zugespitzt, vielleicht sogar ins Absurde gezogen wird. Im letztgenannten Fall hätte diese Diskrepanz zu einer zentralen Botschaft des Romans werden können – in etwa: Unsere Gegenwart braucht neue Ausdrucksformen für neue Erzählungen. Hätte, denn ‚Die Woche‘ lässt den Riss zwischen Form und Inhalt links liegen, obwohl er -eigentlich, eigentlich – der zentrale Gegenstand des Romans schlechthin wäre, zumindest dann, wenn sein Vorhandensein als mehr als Beiläufigkeit, oder sogar Zufall gesehen werden könnte. Schade. Denn so bleibt ‚Die Woche‘ für mich wenig mehr als eine immerhin interessante und lesenswerte Aneinanderreihung größerer und kleinerer Empörungen – zumindest, bis die Revolution kommt.

🔸 Erschienen: Suhrkamp, (www.suhrkamp.de/ @suhrkampverlag ), Berlin 2022
🔸 Umfang: Gebunden mit Schutzumschlag, 313 Seiten
🔸 Preis: € 24,- (D), € 24,70 (AT)
🔸 ISBN: 978-3-43053-8


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