Das bist du (Ulrich Peltzer)

Buch-Cover Das bist du von Ulrich Peltzer

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Mit ‚Das bist du‘ legt Ulrich Peltzer einen Roman vor, dessen Story – eine Liebe, die langsam verkümmert und dahinsiecht – zwar im Berlin der 1980er Jahren angesiedelt ist, aber gerade deswegen einen enormen Bezug zur Gegenwart aufweist. Dadurch, und weil Peltzer in seinem Erzählen versucht, jede Linearität zu vermeiden und sich nahezu ausschließlich von, so der Umschlagstext, „Jump Cuts durch die Zeit“ bedient, haben wir es mit einem echten Peltzer zu tun.

Denn das Prozedere, Gesellschafts- und Zeitbilder in einer Liebesgeschichte zu verpacken und Linearität zu vermeiden, kennen wir zum Beispiel schon sehr gut aus Peltzers vorletztem Roman – ‚Das bessere Leben‘. Auch in ‚Das bist du‘ finden wir ein bruchstückhaftes Erzählen vor, das sich manchmal kaum einem Raum zuordnen lässt, wovon manchmal unklar bleibt, ob Gedanke oder Dialog.

Wo ‚Das bessere Leben‘ mit dem postmodernen, so wir heute wissen, Ideal vom Ende der Geschichte spielt und die Geschichte nahezu demonstrativ dann doch weiter erzählt, geht es in ‚Das bist du‘ um das Vertraute, das in der Retroperspektive nun als das Fremde betrachtet werden kann. Während der Ich-Protagonisten sich an die Liebe zu Leonore erinnert, seine Erinnerungen irgendwann mit Hilfe von Google Maps überprüft, wird deutlich, dass die alte Liebe zu einem Lebensabschnitt geworden ist, den dem Protagonisten endgültig entronnen ist und kaum noch Verbindungen mit dem Davor und Danach aufweist.

Damit sind wir beim genialen Spiel, das Peltzer mit seiner Leserschaft spielt. Schließlich scheint der Roman Schwanger vieler Bedeutungen und hermeneutischer Rückschlüsse auf unsere Gegenwart zu sein, aber diese bleiben diffus. Zum Beispiel dann, wenn der Protagonist mit Leonore eine Bekannte in Amsterdam trifft: „Am liebsten würden sie alles abreißen, hatte Susanne erzählt, aber wohnen muss man ja. Und zwar jetzt.“ Das ist eine Anspielung auf die große Amsterdamer Hausbesetzerbewegung der 1980er Jahre, sowie auf das Ideal einer autogerechten Stadt in der die Tramverbindungen durch die U-Bahn ersetzt werden sollten, das die Stadtverwaltung („am liebsten würden sie“) damals verfolgte.

Das ist typisch Peltzer und gewissermaßen seine Spezialität, durch die ich in ihn als einer der größten Schriftsteller der deutschen Gegenwartsliteratur betrachte. Denn in solchen kleinen Einwendungen, die gesamte Nachkriegsgeschichte – hier die städteplanerische Nachkriegsgeschichte – pointiert zu thematisieren, macht das Werk nicht nur als Vergnügungslektüre, sondern auch für eine Close-Reading-Session interessant.

Darin sollte es vor allem um die Frage gehen, welches Bild der Roman von den 1980er Jahren in West-Berlin und allgemein West-Europa vermittelt und wie sich dieses zu unserer Gegenwart verhält. Es würde mich nicht wundern, wenn es sich mit den 1980er Jahren wie mit der Liebe zu Leonore verhält: Ein kurzer Abschnitt langer Tage und Nächte, außerhalb der Zeit, an dem wir uns kaum noch erinnern können.

🔸 Erschienen: S. Fischer Verlag GmbH (https://www.fischerverlage.de)
🔸 Umfang: Gebunden mit Schutzumschlag, 290 Seiten
🔸 Preis: 22,00 (DE)
🔸 ISBN: 978-3-10-002466-4


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