Sortiermaschinen. Die Neuerfindung der Grenze im 21. Jahrhundert (Steffen Mau)

Sortiermaschinen, Steffen Mau

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In seinem Buch ‚Sortiermaschinen. Die Neuerfindung der Grenze im 21. Jahrhundert‘ zeichnet Steffen Mau, Professor für Makrosoziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin, hervorragend auf, wie die Vorzüge der Globalisierung insbesondere die des freien Reisens im Grunde einer kleinen Elite vorbehalten bleiben. Wer nicht über die ‚richtige‘ Staatsbürgerschaft und ausreichende Finanzmittel, idealerweise beides, verfügt, für den werden die Grenzen zu Mauern und Zäunen. Die Öffnung der Grenzen hierzulande (Schengen) hat somit eine globale Zweiteilung zu Folge, nämlich zwischen uns, die nach Lust und Laune ‚mobil‘ sein können, und denen, die sich bloß nicht zu uns auf dem Weg machen sollen. Letztere sehen sich, bedingt durch die räumliche Entgrenzung der Grenzen und den Einsatz neuer digitalen Techniken, auch in ihren Heimatländern zunehmend mit ‚unseren‘ Grenz- und Mobilitätskontrollen konfrontiert, und zwar in einem solchen Maße, dass Schengen-ähnliche Abkommen zum Beispiel in Afrika südlich der Sahara zu scheitern drohen.

Steffen Mau entkraftet auf überzeugender Weise die Mär von den offenen Grenzen, vom ‚global village‘ – das nur einer kleinen Elite vorbehalten bleibt. Die politischen Fragen, die das Buch (zumindest implizit) stellt, haben eine ungeheure Sprengkraft und sollten unbedingt mehr in den Mittelpunkt gesellschaftlicher und politischer Debatten rücken.

Die Tatsache, dass westliche und demokratische Rechtsstaaten unter dem Vorwand des eigenen Sicherheitsbedürfnis und des eigenen Grenzschutzes an Flughäfen und auch jenseits der eigentlichen, geographischen Grenze rechtsfreie Räume schaffen, in denen der gewünschten Aufenthalt von Reisewilligen bereits vor der eigentliche Einreise überprüft und gegebenenfalls untersagt werden kann, ist eine dieser Fragen. Der Vorteil dieses Vorgehens für den Staat ist, dass solche Vorab-Prüfungen sich dem rechtlichen Rahmen entziehen, finden sie schließlich außerhalb des eigenen Hoheitsgebiets statt und werden darüber hinaus auch oft von Dritte, beispielsweise von beauftragten Unternehmen oder gar anderen Staaten, ausgeführt. 

Das große Problem allerdings ist, dass Menschen in solchen ‚zwischenstaatlichen‘ Räumen ungenügend oder gar nicht von unseren Rechtssystem, das insbesondere Flüchtende und Asylsuchende mit besonderen Rechten ausstattet, berücksichtigt werden.

Ein anderes und vielleicht grundlegenderes Problem ist, dass, wie Steffen Mau aufzeichnet, die privilegierte Mobilität der offenen Grenzen vor allem für die Staatsbürger:innen der OECD-Länder und damit für den globalen Norden gilt. Damit könnte, und das ist jetzt mein Gedanke, das Überqueren etwa der Schengen- und EU-Außengrenzen als insitutionalisiertes White Privilege und damit eigentlich auch als ein staatlicher Rassismus betrachtet werden. Es wird sogar zu einer ethischen Frage, wenn mensch sich daran erinnert, dass zum Überqueren des Mittelmeers Menschen mit dem richtigen Reisepass das Flugzeug nehmen können, während Menschen ohne oder mit dem falschen Reisepass dafür oft mit dem Leben bezahlen müssen. Allerdings ist es schade, dass Steffen Mau sein eigenes Fachgebiet nicht verlässt und sich mit der ethischen Frage, wie rassistisch und im Endeffekt auch tödlich unsere Grenzen sein dürften, nicht wirklich befasst.

Das würde aber den Rahmen dieses Buchs sprengen. Denn auf nur 189 und gut lesbaren Seiten zeichnet Steffen Mau wunderbar auf, welche Funktion Grenzen seit jeher für den Staat haben und wie die der Wunsch nach (wirtschaftlicher) Globalisierung sowie den Einsatz digitaler Techniken dazu führten, dass die Funktion der Grenze als ‚Sortiermaschine‘ sich immer mehr von der geographischen, physischen Grenze und den Menschen entfernt und sich damit im Endeffekt globalisiert und ein stückweit entmenschlicht hat. Das ist – mit allen Konsequenzen – ein super spannendes Thema, das zukünftig gewiss noch zu weiteren Diskussionen führt – führen muss. Für diejenige, die sich für Grenzpolitik, Migration und Globalisierung interessieren, bietet ‚Sortiermaschinen‘ eine unverzichtbare Einführung in den Status-Quo unserer Grenzen – ein hervorragendes Buch!


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